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Künstliche Intelligenz oder Volksverdummung?

An den Börsen rund um den Globus hat schon immer die menschliche Angst oder Gier einen gehörigen Einfluss auf die Kurse gehabt. Wie gut dass es Computer gibt und Algorithmen, die bar aller Gefühle sind. Doch auch die Privatanlegern gern als sicher angepriesenen Fintechs bergen teils große Risiken. Ein Artikel von Katharina Schüller

Spätestens beim Energieverbrauch von Bitcoin wird deutlich, dass die Digitalisierung der Finanzwelt auch Fragen zur Nachhaltigkeit aufwirft. Wenn Kryptowährungen mit billigem Kohlestrom geschürft werden, beschränken sich die resultierenden Umweltschäden nicht auf das Erzeugerland. Aber Nachhaltigkeit betrifft weit mehr als Bienen und Blumen. Die Vereinten Nationen (UN) formulieren mindestens zwei weitere Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG), die mit Krypto & Co in Zusammenhang stehen: Das zehnte SDG betrifft die „Reduzierung von Ungleichheit“, das vierte SDG die „Bildungsqualität“ – und damit auch die Finanzkompetenz, obwohl sie nicht explizit genannt wird.

Digitalisierung birgt große Chancen für die Gesellschaft. Beispielsweise verschaffen innovative Fintechs jetzt auch „Otto Normalsparer“ Zugang zu Geldanlagen, die bisher nur wenigen sehr vermögenden Menschen vorbehalten waren. Eine jüngst in der „Zeit“ veröffentlichte Studie enthüllt allerdings, dass die eigene Vermögenslage auch eng zusammenhängt mit Wirtschafts- und Finanzkompetenzen. Wer nicht versteht, was die Daten aus den Unternehmen und den Märkten bedeuten, der kann auch nicht davon profitieren.

Kann künstliche Intelligenz Kapital besser anlegen?

Die Finanzindustrie benutzt Daten schon seit Urzeiten. Mit der Entwicklung leistungsfähiger Computer in den 1980er-Jahren wurden Algorithmen zu mächtigen Werkzeugen in den Investitionsentscheidungen. Dies befeuerte auch die Finanzökonometriker an den Universitäten. Ausgefeilte statistische Verfahren kamen zum Einsatz, um die Dynamik der Finanzmärkte besser zu verstehen, was umgekehrt die Finanzinstrumente immer komplexer werden ließ. Algorithmen sollen heute einerseits höhere Renditen erwirtschaften, andererseits sollen sie Risiken erkennen und minimieren. Kann künstliche Intelligenz das wirklich besser? Ihre Befürworter argumentieren, dass menschliche Entscheidungen oft von Angst oder Gier getrieben seien. Deshalb könnten sie nie so objektiv (gemeint ist eigentlich: systematisch richtig) sein wie Entscheidungen, die auf Daten und mathematischen Modellen beruhen. Dazu werden gerne Nobelpreisträger zitiert, ohne zu erwähnen, dass Myron Scholes und Robert Merton mit ihrem quantitativ gesteuerten Hedgefonds LCTM eine spektakuläre Bauchlandung hinlegten. Akademische Auszeichnungen garantieren also noch längst nicht, dass die Theorien auf Dauer tatsächlich funktionieren. In den letzten zehn Jahren ist deshalb eine Gegenbewegung entstanden, die die 2007er Finanzkrise vor allem als eine Krise der Modelle versteht. „Die Manager haben ihre Verantwortung an die Technik abgegeben und damit gleichzeitig auch die Kontrolle über das Finanzsystem“, fasst Starbanker Leonhard Fischer die Malaise zusammen.

Aber warum geht das uns alle etwas an? Weil immer mehr Fintechs behaupten, sie wollten „die traditionelle Geldmanagementbranche transformieren, um die Finanzmärkte für alle, an jedem Ort zugänglich zu machen“ (eToro) oder „die komfortabelste Form der Geldanlage“ zu bieten – einen „Service, der bislang sehr vermögenden Investoren vorbehalten war“ (Scalable Capital). Wenn diese Versprechen eingehalten werden, dann tragen Fintechs tatsächlich dazu dabei, die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern. Aber Plattformen wie eToro und digitale Vermögensverwalter wie Scalable Capital gehen noch weiter. Sie wollen auch die Finanzkompetenz ihrer Kunden erhöhen, sei es mit Blogs zu Finanzthemen oder eigenen „Akademien“, die sich dezidiert auch an Anfänger richten.

Mangelnde Finanzkompetenz ist extrem gefährlich

eToro zum Beispiel listet eine Reihe von Vorteilen auf, die den Anschein erwecken, dass nachhaltiges Investieren höchster Daseinszweck des Fintechs sei: Man sei verantwortlich, transparent, (natürlich) innovativ und setze auf Weiterbildung. Ein Musterbeispiel für einen Beitrag zum vierten SDG? Immerhin erstellt eToro eine individuelle Risikobewertung für jeden Nutzer. Die sei „eine tolle Möglichkeit zu sehen, ob Sie ein verantwortungsbewusster Trader sind. Bei eToro eine Risikobewertung von 3 oder niedriger zu halten, wird empfohlen“. Wer sich nicht laufend um sein Portfolio kümmern mag, dem werden die eigenen, professionell gemanagten „CopyFunds“ ans Herz gelegt. Aber: Von den 24 auf der Plattform angebotenen Fonds besitzen nur 14 eine Risikobewertung von 3. Alle anderen sind als riskanter eingestuft, zwei sogar mit der höchsten Bewertung von 8. Gemäß der obigen Empfehlung qualifizieren sich demnach mehr als 40 Prozent der Fonds, unter denen auch zwei Kryptowährungs-Fonds sind, nicht als verantwortungsbewusste Anlageprodukte. Trotzdem entsteht der Eindruck, die „CopyFunds“ seien irgendwie sicher. Sie seien „als Investitionskanal für Investitionen mit eher niedrigem Risiko konzipiert“ und „zielen deshalb darauf ab, jährliche Erträge von bis zu zweistelliger Höhe zu erwirtschaften“. Genau hier liegt das große Problem vieler Fintechs. Was ankommt, ist eine Botschaft, die uns schon einmal in eine Finanzkrise geführt hat. Nämlich, dass es normal und vernünftig ist, bei minimalem Verlustrisiko dauerhaft zweistellige Renditen erwarten zu können. Zuletzt sind die Profis darauf hereingefallen, und man kann es ihnen nicht einmal uneingeschränkt vorwerfen. Denn die Zinsdifferenz zwischen (heute wissen wir: faulen) US-Immobilienanleihen und US-Staatsanleihen betrug zeitweise mehrere Prozent, aber beide erhielten von den Ratingagenturen die bestmögliche Risikobewertung. Georg Zoche fasst es in seinem Buch „Welt Macht Geld“ so zusammen: „Aus damaliger Sicht war es durchaus vernünftig, US-Immobilienanleihen anstelle von US-Staatsanleihen zu kaufen. Und deshalb haben es auch alle getan.“ Mangelnde Finanzkompetenz hat aber heute extrem gefährliche Auswirkungen, wenn Nicht-Profis auf einmal an allen Märkten mitmischen. Darum ist es so wichtig, dass diejenigen, die Laien diesen Zugang verschaffen, ihren Beitrag zur Finanzkompetenz leisten. Fintechs müssen dafür ein Mindestmaß an Verantwortung übernehmen. Wer sich an Millionen von Menschen wendet und sie von ihren Sparbüchern wegholen will, der muss ihnen auch klar und verständlich sagen, was sie realistischerweise erwarten können, statt eine gefährliche Mischung aus Gier und Verlustangst zu schüren. Mit „Nachhaltigkeit“ hat das sonst wenig zu tun.

„Hochvolatiles Investmentprodukt. Ihr Kapital ist Risiko ausgesetzt“

Immer mehr Fintechs, aber auch Social-Trading-Plattformen und Investment-Netzwerke bieten Privatanlegern Kapitalanlage an, die von künstlicher Intelligenz gesteuert wird. Das ist durch aus risikoreich, wie eine Auswahl der auf eToro angebotenen „CopyFunds“ zeigt.


Copy Funds

(1) Der Maximum Drawdown gibt den Maximalverlust an, den ein Anleger innerhalb eines Betrachtungszeitraumes hätte erleiden können. Nämlich wenn er zum Höchststand gekauft und zum Tiefststand verkauft hätte. Wird in Prozent angegeben.

(2) Die Return-Drawdown-Ratio ist eine Kennzahl, die das Rendite-Risiko-Verhältnis eines Investments misst. Berechnet wird sie, indem man die pro Jahr erzielte Rendite der Anlage durch ihren Maximum Drawdown teilt. Es gilt: Je höher die Return-Drawdown-Ratio, desto besser das Rendite-Risiko-Verhältnis.

Risikobewertung

(Dieser Artikel erschien im April 2018 in der Printausgabe von „Tichys Einblick“.)

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