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Zwischen Buzzwords und Zukunftskompetenzen: Data Literacy @Destatis


Daten und Informationen sind wesentlicher Teil einer offenen Gesellschaft. Damit daran alle teilhaben können, ist es notwendig, Datenkompetenz auf allen gesellschaftlichen Ebenen zur fördern. Der Ausbau von Data Literacy schafft einerseits mehr Sicherheit und Transparenz im Umgang mit Daten und ermöglicht andererseits Potenziale von Daten schneller zu erkennen und effektiver zu nutzen.

Auch die Bundesregierung hat die Förderung von Data Literacy als zentrales Handlungsfeld in ihrer Datenstrategie verankert. Eine ganze Reihe von Maßnahmen ist dort vorgeschlagen und wird bereits umgesetzt, etwa die „Datenlabore“ in den Bundesministerien und im Bundeskanzleramt. Aber reicht das, um eine Zukunftskompetenz wie Data Literacy nachhaltig in allen Bereichen unserer Gesellschaft – Wirtschaft, Wissenschaft, Staat und Zivilgesellschaft – zu verankern?



Dorothee Bär on LinkedIn: #daten #datenstrategie #chiefdatascientist | 33 comments

+++ Breaking News +++ Eine weitere wichtige Maßnahme der Datenstrategie geht in die Umsetzung! Seit dieser Woche sind die Gelder für einen elementaren... 33 comments on LinkedIn


Darüber haben wir uns vor einer Woche mit fast 30 Expert:innen aus Bundesministerien, Bundesämtern und aus der Wissenschaft in einem ersten Gespräch ausgetauscht. Die enorme Resonanz auf die Einladung, die Dr. Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamtes (Destatis) und ich als CEO von STAT-UP Statistical Consulting & Data Science und Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) im Nachgang zur Data Literacy Charta ausgesprochen haben, war überwältigend. Insbesondere die zahlreichen Anfragen von Vertreter:innen der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) aus den unterschiedlichsten Forschungsgebieten zeigen, wie dringend eine interdisziplinäne Herangehensweise an das Thema Data Literacy gewünscht wird.

Als Impuls für unser erstes Gespräch dienten folgende Leitfragen:

  1. Mit welchen Maßnahmen und bei welchen Zielgruppen kann der Staat Data Literacy fördern?

  2. Welche Akteur:innen können dazu in welchen Rollen eingebunden werden?

  3. Wie kann ein konkreter Umsetzungsplan („Roadmap“) aussehen?



Data-Literacy-Charta

Die vom Stifterverband initiierte und von zahlreichen Fachgesellschaften unterstützte Charta formuliert ein gemeinsames Verständnis von Datenkompetenzen und deren Bedeutung für Bildungsprozesse.


Diese Fragen werden eine Reihe von vier Werkstattgesprächen begleiten, die im Lauf der nächsten zwölf Monate zu Antworten aus den Perspektiven unterschiedlichster Akteur:innen und Nutzer:innen führen sollen. Schon im ersten Gespräch haben wir festgestellt, dass über die wesentlichen Aspekte große Einigkeit herrscht.

Data Literacy umfasst nach der Überzeugung aller Beteiligten nicht nur Statistikkompetenz oder ein mathematisches Grundverständnis, sondern auch andere Fertigkeiten wie Digitalkompetenz und Medienkompetenz sowie die Fähigkeiten, Informationen beurteilen und einordnen zu können (Stichwort: Fake News/Desinformation). Es geht bei Data Literacy darum, die Menschen zu befähigen, Daten in Wert zu verwandeln, d.h. um einen Wertschöpfungsprozess.

Die zentrale Aufgabe von Data-Literacy-Maßnahmen besteht darin, die Datenkompetenz der Bevölkerung zu erhöhen und eine Datenkultur zu etablieren.

Das ist auch erklärtes Ziel der Datenstrategie der Bundesregierung. Wichtig ist insbesondere, ein Publikum zu erreichen, das nicht zahlenaffin ist und selbst (noch) keinen Bedarf sieht, seine Datenkompetenz zu erhöhen. Vor allem in Bezug auf Statistik ist es wichtig, niedrigschwellige und attraktive Angebote zu machen, um Interesse zu wecken und Vorurteile abzubauen.



Bildquelle: Destatis/STAT-UP

Dabei lässt sich durchaus hinterfragen, warum es Anglizismen wie „Data Literacy“ überhaupt braucht und ob diese nicht einige Menschen sogar davon abhalten, sich mit entsprechenden Angeboten zu beschäftigen. So bemerkte ein Teilnehmer: „Ich hatte von diesem theoretischen Konzept bisher keine Kenntnis. Deshalb musste ich erstmal recherchieren, was Data Literacy eigentlich ist. Beim deutschen Begriff „Datenkompetenz“, der scheinbar auch etabliert ist, hatte ich hingegen sofort eine Vorstellung. Wäre es nicht zielführender, bei der Vermittlung von Datenkompetenzen auch auf verständliche Begrifflichkeiten zurückzugreifen?“

In der Tat zeigten sich ähnliche Bedenken auch bei den Expert:innen, die für die Data-Literacy-Studie des Hochschulforums Digitalisierung befragt wurden. Eine Medizin-Professorin sieht ein erhebliches Problem in dem mangelnden Bemühen, präzise deutsche Begriffe für diese Kompetenz zu finden. Der Begriff „Data Literacy“ scheine ihr auch im Englischen nicht eindeutig definiert zu sein. Umso wichtiger sei es, passende deutsche Begriffe zu verwenden oder zu generieren: „Ich sehe es auch in meinem Bereich Medizin, dass viele Forscher:innen in Deutschland sich nicht einmal mehr die Mühe machen, deutsche Begriffe zu finden, selbst wenn es recht einfach wäre. Und dann vermuten sie, dass der englische Begriff automatisch von Leser:innen verstanden wird. In vielen Fällen ist das sicherlich eine Fehleinschätzung.

Sprache formt das Denken. Und wie kann man denken, wenn die Begriffe fehlen?“

Wir haben uns die Begriffsfrage in der DStatG immer wieder gestellt, weil Walter Krämer, Vorsitzender der AG „Statistical Literacy“ und zugleich Vorsitzender des „Vereins Deutsche Sprache“ mit Anglizismen nun wirklich nicht viel anfangen kann. Aber der Begriff „Literacy“ macht eben deutlich, dass es um eine Basis- oder Schlüsselkompetenz geht, so wie Lese- und Schreibkompetenzen. Man müsste, um dies deutlich zu machen, am ehesten von „Statistik-Alphabetisierung“ oder „Daten-Alphabetisierung“ sprechen. Diesen Bezug machen die Initiator:innen des Schweizer Appells data-literacy.ch in ihrer Antwort auf die Frage „Warum lancieren Ärzte und Statistiker gemeinsam einen Appell an die Bevölkerung und die Politik?“ deutlich:



Home | Data Literacy - Schweiz

Setzen wir uns gemeinsam für eine Verbesserung der Datenkompetenz ein!


„Historisch gesehen waren die ÄrztInnen im 19. und 20. Jahrhundert in verschiedenen Regionen politisch sehr engagiert bei der Einführung der Schulen zur Alphabetisierung der Bevölkerung.

Eine fundierte gesellschaftliche Datenkompetenz ist heutzutage aber wie Lesen und Schreiben unverzichtbar für den Erhalt der Grundwerte unserer demokratischen Gesellschaft wie Freiheit, Gleichberechtigung, Mitbestimmungsrecht und Teilhabe.“

Mit der Lancierung dieses Appells nehmen Ärzte und Statistiker ihre gesellschaftliche Verantwortung diesbezüglich wahr.“

„Datenkompetenzen“ werden hingegen leider noch vornehmlich als technisch-handwerkliche Fähigkeiten und Fertigkeiten aufgefasst, ohne dass auf Aspekte wie Datenkultur, Datenethik etc. eingegangen wird. „Data Literacy“ wurde als Begriff in der Wissenschaft geprägt, um eine umfassendere Sichtweise zu betonen. Dies übernahm z.B. auch die Bundesregierung in ihrem Eckpunktepapier zur Datenstrategie: „Dazu werden wir insbesondere: (…) Maßnahmen und Instrumente zur Erhöhung der Datenkompetenz im Sinne einer umfangreichen „Data Literacy“ in allen formalen und non-formalen Bildungsbereichen prüfen und initiieren.“ Inzwischen definiert die Bundesregierung in ihrer Datenstrategie den Begriff „Datenkompetenz“ wie folgt:

„Datenkompetenz oder Data Literacy beschreibt u.a. die Fähigkeit, mit Daten in technischer, ökonomischer, ethischer und rechtlicher Hinsicht kompetent und werteorientiert umzugehen. Die Datenkompetenz ist Grundlage und eine essenzielle Fähigkeit im Umgang mit der Digitalisierung.“

Gleichwohl ist zu beobachten, dass viele kommerzielle Anbieter inzwischen auch „Data Literacy“ auf ihre Schulungs- und Beratungsangebote schreiben, obwohl dort genau diese zentralen Aspekte einer Literacy fehlen. Eine große Herausforderung wird deshalb zukünftig sein, bei den Zielgruppen solcher Angebote ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wo echte Zukunftskompetenten vermittelt werden und wo es sich um vornehmlich handwerklich orientierte Trainings handelt, die sich vor allem durch die extensive Verwendung von Schlagworten auszeichnen.

Dabei sind die Zielgruppen für Data-Literacy-Maßnahmen vielfältig: Studierende aller Fachrichtungen, Forschende und Doktoranden, Lehrende, Schüler:innen, Arbeitnehmer:innen sowie alle Bürger:innen, die Daten im Alltag nutzen. Die Teilnehmenden stimmten überein, dass sich alle Akteur:innen im Bereich Data Literacy besser miteinander vernetzen sollten, um Synergien nutzen zu können. Ziel ist es, Data-Literacy-Maßnahmen, Angebote und Produkte in die Breite der Gesellschaft zu tragen und das Thema Data Literacy in der Politik und in den Medien sichtbar zu platzieren. Dabei hat sich schon im ersten Austausch gezeigt, dass bereits eine Vielzahl von Angeboten existiert – nur sind sie nicht synchronisiert und viel zu wenig bekannt.



Bildquelle: STAT-UP

Der Statistische Beirat, das Beratungsgremium des Statistischen Bundesamtes, wird eine Arbeitsgruppe zum Thema „Data Literacy“ einrichten. Durch diese Verankerung soll eine dauerhafte Betätigung des Statistischen Bundesamtes in diesem Feld erreicht werden. Und nichts brauchen wir derzeit dringender als zuverlässig verfügbare, institutionell verankerte Expertise in einer wichtigen Zukunftskompetenz, die sich nicht nur auf die strategische Ebene beschränkt, sondern auch eine jahrzehntelange Erfahrung in der Umsetzung beinhaltet.

Bewiesen wurde diese nicht zuletzt anhand der „Experimentellen Daten„, die Destatis in der Pandemie z.B. in Form innovativer Konjunkturindikatoren bereitgestellt hat und die gezeigt haben, dass dringend benötigte Informationen sowohl schnell als auch zuverlässig bereitgestellt werden können, wenn man die richtigen Expert:innen einbindet.

Es braucht Expert:innen, die nicht nur wissen, wie es geht, sondern die es auch machen können.

Man kann uns allen nur wünschen, dass die übergreifende Zusammenarbeit zwischen den Bundesministerien und Bundesämtern bei der Umsetzung der Datenstrategie gestärkt wird, indem die amtlichen Statistiker:innen dabei zukünftig eine wesentliche Rolle spielen.

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